BAYERISCHE STAATSZEITUNG
"Von der Geschichte der Geschwister Scholl gibt es einige Bilder im kollektiven Bewusstsein: vor allem jene Szene, in der ihre Flugblätter durch den Lichthof der Münchner Universität flattern. Jetzt fügt das Stadttheater Fürth mit der Uraufführung des Musicals SCHOLL - Die Knospe der Weißen Rose neue, unbekannte Bilder aus dem Leben von Hans und Sophie Scholl dazu. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Skiurlaub mit Student*innen aus dem Freundeskreis der Geschwister: konstruiert aus wahren Begebenheiten, originalen Gedichten von Hans Scholl, historischen Aufzeichnungen. Silvester 1941/42 ist das gewesen, bei Ehrwald in Tirol, in einer kalten Hütte. Deren Holzbalken hängen das ganze Stück über schwer lastend über der kleinen Gesellschaft (Bühnenbild: Stephan Prattes), sind Bett oder Sofa, wecken eindrucksvolle Assoziationen an Kreuz und Hakenkreuz.
Hoffmann hat unter fachhistorischer Begleitung Libretto und Liedtexte geschrieben und Regie geführt. Die Musik ist von Thomas Borchert, das Orchester sitzt in der typischen Musicalbesetzung weit hinten auf der Bühne (Leitung: Robert Paul).
Hans Scholls Gedichte
Eventuelle Vorbehalte gegen die Erzählung des Schicksals der jungen Widerstandskampfgruppe in der Form eines Musicals verfliegen schnell. Allein schon die Gedichte von Hans Scholl geben für das Leben dieser jungen Leute mit durchaus verschiedenen Einstellungen zu nationalsozialistischen Ideologie einen anrührend lyrischen Rahmen ab. (...)
Sehr geschickt hat Hoffmann es vermieden, lediglich den chronologischen Ablauf zu vermitteln mit der Hinrichtung unterm Fallbeil als theatralischen Höhepunkt. Stattdessen gehen dramaturgisch geschickt vom Skihütten-Silvester immer wieder neue Rückblenden und Vorausblicke aus: zurück zur Zeit der Scholls beim Bund Deutscher Mädchen (BDM) und der Hitlerjugend (HJ), überraschend zu jener Zeit, als Hans Scholl auf seinen Prozess wegen des Paragraphen 175 (homosexuelle Betätigung) und Fortsetzung der verbotenen bündischen Jugend wartete - es war die Zeit, als er begann, Gedichte zu schreiben. (...) Unter den sieben jungen Leuten hat Traute eine besondere Rolle: Sie macht sich immer wieder vergebliche Hoffnungen, dass Hans sie heiraten würde; sie wurde dann der Mitwisserschaft im Widerstand verdächtigt und zu einem Jahr Haft verurteilt. In den USA, wohin sie 1947 emigrierte, ist sie kurz vor Probenbeginn zu dem Musical 103-jährige gestorben. Auf der Bühne in Fürth verwirklichen auch ihre Erinnerungen die besten Mitglieder des Musicalnachwuchses (...) Judith Caspari, Alexander Auler, Sandra Leitner, Fin Holzwart, Karolin Konert, Dennis Hupka und Lina Gerlitz sind absolut perfekt in ihrer Bühnenpräsenz, in ihren gesanglichen Möglichkeiten, und lassen das Geschehen nie in die Nähe sentimentalen Kitsches geraten. Fürth: wieder ein Mittelpunkt für das zeitgenössische Musical. Und das Publikum ist begeistert. <UWE MITSCHING 21.04. 2023